„Nicht wenige Eltern setzen sich selbst unter Druck“

Neben der grundsätzlichen Einordnung des Übergangs von Klasse 4 nach 5 ist es uns wichtig, Ihnen auch die Sicht aus der Schulpraxis vor Ort zu vermitteln. Dafür haben wir mit Ursula Groß gesprochen. Frau Groß ist seit August 2017 Konrektorin an der Johannes-Hack-Schule in Petersberg, einer Grund- und Hauptschule im Schulamtsbereich Fulda. Das Thema der sogenannten Übergangsgestaltung ist für Frau Groß und ihre Kolleginnen und Kollegen aktuell sehr präsent: Im Sommer wechseln knapp 80 Schülerinnen und Schüler in die Sekundarstufe I.


Frau Groß, wie gelingt es den Lehrkräften und Ihnen als Schulleitung, Eltern eine gute Grundlage und damit auch Sicherheit für ihre Entscheidung bei der Wahl des weiterführenden Bildungsganges zu vermitteln?

Der Übergang an die weiterführende Schule ist bei den Eltern mit vielen Erwartungen und Veränderungen verbunden. Er eröffnet neue Chancen, aber es gibt auch Stolpersteine. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, für jede Schülerin und jeden Schüler einen individuellen Weg zu finden. Deshalb ist es wichtig, während der gesamten Grundschulzeit engen Kontakt zu den Eltern zu halten. Wir haben an uns den Anspruch, Eltern gut zu beraten und zu helfen, die richtige Schulform je nach Begabungen und Entwicklungsmöglichkeiten für ihr Kind zu befürworten und eine geeignete Schule zu finden sowie für jedes Kind eine begründete Empfehlung zu geben. In den Übergangsprozess fließen die Informationen aus den Elterngesprächen, aus Klassen- und Jahrgangskonferenzen und aus dem Informationsabend zum Übergang in die weiterführende Schule mit ein.

Welches sind die bedeutendsten Fragen von Eltern im Rahmen der Übergangsberatung?

Die Eltern sind aus den Gesprächen mit uns Lehrerinnen und Lehrern gut darüber informiert, wie sich ihr Kind während der Grundschulzeit entwickelt hat. Außerdem ist es uns ein wichtiges Anliegen die Eltern hierfür zu sensibilisieren, dass unser Schulsystem durchlässig ist und somit kein Weg für immer verbaut ist. Es gilt das Prinzip: „Kein Abschluss ohne Anschlussmöglichkeit“. Deshalb stimmen die Einschätzungen der Eltern und die Empfehlungen meiner Kolleginnen und Kollegen sehr oft überein. Wo das nicht der Fall ist, möchten die Eltern wissen, welche weiteren Möglichkeiten es gibt oder was es bedeutet, sich anders zu entscheiden als von der Schule empfohlen. Oft sprechen die Eltern auch Punkte an, die über eine Schulformberatung hinausgehen, etwa die Organisation des Anmeldeverfahrens an einer Schule (insbesondere bei Privatschulen), die Eignung zum Beispiel für eine Sportklasse, die Fremdsprachenfolge oder die Angebote bilingualen Unterrichts. Zu diesen Fragen verweisen wir auf die „Tage der offenen Tür“ oder die Informationsangebote an den weiterführenden Schulen.

Haben Eltern mitunter die Sorge, dass sie eine unveränderbare Entscheidung treffen? Ist ihnen bewusst, dass es nur um die Entscheidung zu dem Zeitpunkt des Übergangs am Ende der Klasse 4 geht und dass für den weiteren Bildungsweg der Kinder vielfältige Möglichkeiten bestehen?

Nicht wenige Eltern setzen sich selbst unter Druck. Sie wollen das Beste für ihr Kind und beim Übergang von Klasse 4 zur Klasse 5 alles richtig machen. Wir versuchen sie dann zu beruhigen und darauf hinzuweisen, dass die aktuell zu treffende Entscheidung über die weiterführende Schule nichts zementiert, sondern Teil eines kontinuierlichen, ergebnisoffenen Prozesses ist. Den weiteren Bildungsweg regelmäßig zu überprüfen, zu verbessern und an die Entwicklung des Kindes bzw. des Jugendlichen anzupassen, diese Aufgabe wird dann von den weiterführenden Schulen im engen Dialog mit den Eltern weiterverfolgt.

Portrait von Ursula Groß, Konrektorin der Johannes-Hack-Schule in Petersberg

Wir versuchen die Eltern zu beruhigen und darauf hinzuweisen, dass die aktuell zu treffende Entscheidung über die weiterführende Schule nichts zementiert.

Ursula Groß Konrektorin der Johannes-Hack-Schule
Petersberg

Eltern von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder anderen besonderen Bedarfen stellen sich häufig die Frage, ob für sie und ihr Kind andere Bedingungen oder Termine für den Übergang gelten. Gestalten Sie für diese Schülerinnen und Schüler die Übergangsberatung anders?

Im Grunde genommen gelten für alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Termine und Bedingungen. Dennoch schauen wir bei Schülerinnen und Schülern mit besonderen Bedarfen gerne noch genauer hin. Hierbei erweitern wir die intensive Beratung der Grundschullehrerin oder des Grundschullehrers um die Expertise unserer Förderschullehrkräfte und beziehen sie aktiv in den Übergangsprozess ein. Bei Schülerinnen und Schülern mit bereits bestehendem sonderpädagogischem Förderbedarf werden die Kinder im Übergang von Klasse 4 nach 5 erneut überprüft und der Förderbedarf festgestellt. Die daraus resultierende förderdiagnostische Stellungnahme und der anschließende Förderausschuss, der an der weiterführenden Schule durchgeführt wird, helfen der aufnehmenden Schule, die Fähigkeiten und das Leistungspotenzial des Kindes richtig einzuschätzen sowie nötige Maßnahmen für die inklusive Beschulung der Schülerinnen und Schüler bereits vor Schuljahresbeginn einzuleiten.

Der Übergang in die weiterführende Schule ist oftmals mit vielen Veränderungen verbunden. Oft wird die Schülerbeförderung länger, die Schulgebäude sind größer, es gibt neue Lehrkräfte und Mitschülerinnen und Mitschüler sowie neue Fächer. Welche sind aus Ihrer Sicht die Faktoren, die am besten dazu beitragen, Kinder im Rahmen des Übergangs zu stärken und zu begleiten?

Unsere Kinder können sich durch Veranstaltungen wie „Tage der offenen Tür“ oder über Informationen von Lehrkräften und Geschwistern meist ein ziemlich gutes Bild von ihrer zukünftigen Schule machen. Neben diesen Ansätzen ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, die Kinder emotional für den Schulwechsel zu stärken. Dazu können Eltern sehr viel beitragen, wenn sie während der gesamten Schulzeit ein offenes Ohr für die Unsicherheiten und Erwartungen ihres Kindes haben! Sie müssen dem Kind etwas zutrauen können und es selbstständig Lösungen für Probleme finden lassen! Außerdem sollten Eltern ihrem Kind unbedingt ein Gefühl von Wertschätzung, Akzeptanz und Vertrauen geben!