Kultusminister Armin Schwarz im Gespräch mit der Jungen Zeitung

„Lernen wird sich immer lohnen“

INTERVIEW - Kultusminister Armin Schwarz im Gespräch mit der Jungen Zeitung

Der hessische Kultusminister Armin Schwarz (CDU) nahm sich 90 Minuten Zeit, um den Teilnehmern des Projekts Junge Zeitung der „Frankfurter Neuen Presse“ Rede und Antwort zu stehen. Die Gruppe hatte sich unter Anleitung von Politikchef Dr. Dieter Sattler akribisch auf das spannende Gespräch vorbereitet. Live dabei waren Alisa Hniedo, Viktoria Arnspurg und Selina Groß. Studentin Lucie Krauß war telefonisch zugeschaltet, Hendrik Heim war wegen Klausuren an diesem Vormittag verhindert - seine Fragen stellte Dr. Dieter Sattler.

Viktoria: Herr Schwarz, Sie waren vor dem Hauptberuf als Politiker lange Lehrer. Was können Sie von Ihrer praktischen Erfahrung ins Amt des Kultusministers einbringen? 

Armin Schwarz: Die Erfahrung als Lehrer ist von einem unschätzbaren Wert. Es ist einem da mit auch stets bewusst, dass sich Schule immer verändert und auf aktuelle Entwicklungen reagieren muss wie jetzt etwa mit der Digitalisierung und KI. Und wir haben mit unseren Schwerpunkten und unserem Lehrmaterial politische Entwicklungen wie den Angriff Russlands auf die Ukraine oder die Lage in Nahost nach dem Angriff der Hamas-Mörderbande auf Israel am 7. Oktober 2023 im Blick. Die Welt ist in steter Veränderung - und auch die Schule muss es sein. Dieses Verständnis bringt man als Praktiker mit. Nichts bleibt, wie es ist. 

Viktoria: Wie kann das Schulsystem durchlässiger werden? 

Armin Schwarz: Es gibt bei uns ein hohes Maß an Durchlässigkeit. Das betrifft alle Schulformen. Keine Entscheidung, die am Ende der dritten oder vierten Klasse getroffen wird, ist endgültig. Wichtig ist uns, dass Kinder und Jugendliche bestmöglich gefördert werden und zwar an dem Ort, der am besten zu ihnen passt. Es muss nicht immer gleich das Gymnasium sein, es kann auch nach einem Einstieg in die Hauptschule oder Realschule einen Leistungssprung geben oder innerhalb der Gesamtschule. Außerdem gibt es ganz hervorragende Möglichkeiten, eine Schul- oder Berufskarriere außerhalb des Studiums hin zulegen. Das muss stärker in die Köpfe rein.

Lucie: Dennoch stellt sich die Frage, ob die Schüler nicht wie in anderen Staaten oder auch im Land Berlin von vornherein länger zusammen lernen sollten, um soziale Segregation zu vermeiden?

Armin Schwarz: Dass wir eine soziale Segregation hätten, sehe ich ausdrücklich nicht. Die Frage, wie lange man gemeinsam lernt, ist nicht entscheidend. Es gibt Gesamt schulen, wo man das machen kann. Aber es gibt auch Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen als Angebot. Und wer will nicht zwischen verschiedenen Angeboten wählen können? Mir geht es um die ideale Lernumgebung und Förderung für jedes Kind. Es braucht die bestmögliche Palette im Sinne des Kindeswohls. Ich bin übrigens auch ein ausgesprochener Befürworter der Förderschulen und des Unterrichts dort. Wir haben in Hessen in diesen Bereichen so viel Lehrer wie noch nie.

Viktoria: Was wird gegen marode Schulen getan?

Armin Schwarz: Schulbauten sind Aufgabe der Kommunen. Es sind nicht immer die wirtschaftlich stärksten Städte, die die schönsten Schulen haben. Es ist immer die Frage der Prioritätensetzung. Schulbau ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Bei einigen Schulträgern wird sehr gut gearbeitet, bei anderen gibt es Luft nach oben. Das Land Hessen hat bisher mit verschiedenen Programmen immer dafür gesorgt, die Kommunen möglichst von finanziellen Lasten beim Schulbau zu befreien und Investitionen zu ermöglichen. Zur Infrastruktur gehört übrigens auch die Digitalisierung. Nach dem im Mai ausgelaufenen Digitalpakt I müsste der Digitalpakt II kommen, der zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert werden soll. Dafür hat die gescheiterte Bundesregierung allerdings noch keine Mittel eingestellt.

Hendrik: Für viele Schüler hat der Stress der Pandemie noch immer Folgen. Ich habe den Eindruck, dass die Schule da zu wenig hilft . . ? 

Armin Schwarz: Corona hat die Gesellschaft vor ungeheure Anforderungen gestellt. Digitaler Unterricht musste gelernt werden, da haben wir große Fortschritte gemacht. Um den Lerndefiziten zu begegnen, haben wir in Hessen das Programm „Löwenstark“ gestartet. Aber auch mental ist die Pandemie an den Kindern und Jugendlichen nicht spurlos vorbeigegangen. In der Jugend hat man die meisten Kontakte, das war während der Pandemie sehr eingeschränkt. Wir bieten schulpsychologische Unterstützung an. Außerdem gibt es das niedrigschwellige Angebot einer psychologischen Videosprechstunde - für alle, die wollen.

Viktoria: Was wird gegen den Lehrermangel getan? 

Armin Schwarz: Wir haben die Studienplatzkapazitäten stark erhöht, und das schon in Zeiten als die Zahlen der Schülerinnen und Schüler noch rückläufig waren. Wir ha ben jetzt so viele Lehrkräfte wie noch nie. Wir haben Lehrerinnen und Lehrern, bei denen die Fächerkombination für das Gymnasium nicht passte, die Gelegenheit gegeben, in den Grundschulbereich zu gehen. Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger mit Studium können Lehrkräfte in Haupt- und Real schulen werden. Wir bieten jetzt auch Akademikerinnen und Akademikern, die ein Fachstudium absolviert haben, ohne ein zweites daraus ableitbares Schulfach, die Möglichkeit als Lehrkraft mit nur einem Fach ein Referendariat zu beginnen. Solche Lehrkräfte gibt es zum Beispiel auch in Spanien und in Kanada.

Viktoria: Ich habe den Eindruck, dass zu viele Lehrer nach der Ausbildung stressbedingt bald wieder aussteigen. Wie kann man das verhindern? 

Armin Schwarz: Es stimmt, dass der Lehrerberuf gerade in diesen Zeiten herausfordernd ist. Aber wir haben quasi als Großunternehmen mit 65 000 Lehrerinnen und Lehrern eine deutlich geringere Fluktuation als in anderen Branchen. Es ist ein Zerrbild, dass Burnout zunehmen würde.

Lucie: Ich empfand die Aufnahme vieler Schüler seit 2015/2016 mit unzureichenden Deutschkenntnissen als sehr herausfordernd. Wie ist der aktuelle Stand?

Armin Schwarz: Seit 2015/2016 haben wir auch in Vergleich zu anderen europäischen Ländern deutlich mehr Schüler aufgenommen. Das ist eine tolle Leistung, aber es ist, wie Sie richtig sagen, für die Kolleginnen und Kollegen oft herausfordernd, mit sehr heterogen besetzten Klassen zu arbeiten. Für geflüchtete oder zugewanderte Kinder mit Sprachdefiziten haben wir zunächst weitere Intensivklassen gebildet. 2015 haben wir noch darüber geredet, wie wir 100 Intensivklassen hinkriegen, dann waren es 500, dann 1000. Heute reden wir von über 2100 Intensivklassen. Hier geht es darum, elementare Deutschkenntnisse zu erwerben. Deutsch ist der Schlüssel nicht nur für schulische Bildung, sondern auch dafür, sich in diesem Land verständigen und die Werte leben zu können. Jede Stunde muss auch eine Deutschstunde sein. Wir haben auch gute Erfahrungen mit den Vorlaufkursen, die einst unter Roland Koch eingeführt wurden - eine hessische Erfindung. In diese kommen Kinder ein Jahr vor der Einschulung, wenn sie nicht ausreichend Deutsch sprechen und verstehen können. Sie sind bei uns seit drei Jahren Pflicht. Nur um die Dimension zu zeigen: Wir haben in diesem Jahr 60 000 Kinder eingeschult, 19 000 sind in Vorlaufkursen, also quasi ein Drittel eines Jahrgangs, das zeigt die Größe der Herausforderung.

Alisa: Ich habe als Ukrainerin eine spezielle Frage: Ein Freund, der in der Ukraine in der siebten Klasse war, wurde von der siebten in die achte Klasse hochgestuft, ich war in der Ukraine in der elften und kam hier in die zehnte. Nach welchen Kriterien wird das entschieden?

Armin Schwarz: Wir versuchen das nicht schematisch zu machen, sondern möglichst nach dem Leistungsstand jedes Kindes oder Jugendlichen. Wir haben zurzeit etwa 36 000 geflüchtete und zugewanderte Kinder sowie Jugendliche in den Intensivklassen zur Integration, davon sind 21 000 Ukrainer. Es war mir übrigens aus Solidarität mit der Ukraine ein wichtiges Anliegen, Ukrainisch als zweite Fremdsprache einzuführen, damit die Schülerinnen und Schüler aus diesem Land nicht in Russisch also die Sprache des Feindes hineingetrieben werden, wenn sie eine zweite Fremdsprache für einen höheren Abschluss wählen.

Alisa: Was mir positiv auffiel, ist, dass in Deutschland kritisch nachgefragt wird, dafür waren wir in der Ukraine bei Mint-Fächern weiter . . .

Armin Schwarz: Ich bin überzeugt davon, dass wir da mehr tun müssen, wenn wir international als Wirtschaftsnation mithalten wollen. Aber ich muss in dem Zusammen hang noch mal sagen, dass die erfolgreiche Vermittlung von Inhalten auch in Mint-Fächern viel damit zu tun hat, wie gut die Sprachkompetenzen der Kin der und Jugendlichen in Deutsch ausgeprägt sind. Diesen Herausforderungen müssen wir uns eben auch für die Mint-Fächer stellen.

Selina: Chinesisch wird immer wichtiger. Sollten wir es nicht auch in der Schule zunehmend als erste Fremdsprache anbieten? 

Armin Schwarz: Wer will, kann heute schon in der Schule, die es anbietet, Chinesisch lernen. Dass es Englisch bald den Rang ablaufen könnte, sehe ich nicht. Englisch ist klar die Weltsprache Nummer eins.

Selina: Nach einer Umfrage wünschen sich Schülerinnen und Schüler mehr Vermittlung von Wirtschaftskompetenz. Sollten wir in der Schule nicht beispielsweise auch lernen, wie man seine Steuererklärung macht? 

Armin Schwarz: Bei mehr Wirtschaftskompetenz bin ich bei Ihnen. Aber in der Schule zu lernen, wie man eine Steuererklärung macht, davon rate ich ab: Denn das deutsche Steuerrecht ändert sich jedes Jahr. Aber man sollte lernen, warum Steuern erhoben und für was sie verwendet werden und wie unterschiedlich hoch sie in den verschiedenen Ländern sind. In Deutschland sind sie hoch. Zur Vermittlung haben wir beispielsweise das Fach Politik und Wirtschaft.

Hendrik: Ist der in einzelne Fächer aufgesplittete Schulunterricht denn noch zeitgemäß? 

Armin Schwarz: Das Leben spielt sich nicht in Fächern ab. Schon jetzt fließen in die klassischen Fächer wie Deutsch oder Physik Inhalte aus anderen Fächern ein. Wir haben das Fach Digitale Welt eingeführt, das Digitales, Nachhaltigkeit und Wirtschaft umfasst. Wie ich schon sagte: Schule ist in Bewegung, wie die Welt in Bewegung ist. In der Schule geht es vor allem darum, das Lernen zu lernen.

Lucie: Wie wappnet die Schule die Schüler für das Erkennen von Fake News? 

Armin Schwarz: Fake News sind eine Bedrohung für die Gesellschaft. Da müssen wir auf der Hut sein. Wir haben einige Programme zur Medienschulung in Kooperation mit Partnern wie dem Hessischen Rundfunk, um Lehrkräfte und Jugendliche zu sensibilisieren. Ich sehe auch zunehmend die Risiken, wenn das Handy schon in der Grundschule zum ständigen Wegbegleiter wird. Cybermobbing ist ein Thema, das uns Sorgen macht. Wir müssen mehr darüber nachdenken, wie wir Kinder vor Handykonsum in der Schule schützen. Ich werde des halb die Frage einer deutschlandweiten Regelung für die Handynutzung in Schulen in der nächsten Bildungsministerkonferenz Mitte Dezember bei den Kolleginnen und Kollegen in die Diskussion einbringen. Wir sollten uns damit wirklich nochmal befassen.

Viktoria: Wie sollen Lehrer künftig erkennen, dass bei Hausarbeiten KI verwendet wird? Und wie überzeugt man die Schüler, dass eigenes Wissen noch wichtig ist? 

Armin Schwarz: Den Lehrkräften wird schon auffallen, wenn plötzlich eine Sprache verwendet wird, die sie nicht von den betreffenden Schülern kennen. Bei gezieltem Nachfragen würde das schnell auffliegen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir die Potenziale der KI durchaus nutzen sollten. Nur muss die Eigenleistung erkennbar sein. Eigenes Wissen wird immer wichtig bleiben, um Zusammenhänge herzustellen und auf neue Entwicklungen zu reagieren. Das kann eine nur mit den vorhandenen Infos gefütterte Maschine nicht. Lernen wird sich immer lohnen.

Ein „gebürtiger“ Lehrer

Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) nimmt amüsiert zur Kenntnis, dass man ihn versehentlich fast als gebürtigen Lehrer bezeichnet hätte. Der aus Bad Arolsen stammende Nordhesse sagt, dass dies eigentlich sogar stimmt. Denn nicht nur er ist gelernter Lehrer, sondern seine Eltern waren das auch schon. Man merkt Schwarz im Gespräch an, dass er aus der Praxis kommt. Schwarz hat das Ministeramt erst in diesem Jahr angetreten. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter und zuvor für die CDU im Landtag. Nach dem Gespräch lobt Schwarz, der Schirmherr des Projekts Junge Zeitung ist, das Engagement der Jungen Redaktion, die wiederum angetan von seinem respektvollen Auftreten ihr gegenüber ist. - Dieter Sattler

Projekt Junge Zeitung

Mit dem Projekt „Junge Zeitung“ engagieren sich Zeitungen für mehr Medienkompetenz bei Schülerinnen und Schülern.

Das Projekt im Überblick:

  • Vier- bis sechswöchiges Unterrichtsprojekt an weiterführenden Schulen für die Fächer Deutsch und/oder Politik und Wirtschaft,
  • Belieferung der teilnehmenden Klassen mit der Tageszeitung,
  • Bereitstellung von mediendidaktischem Begleitmaterial für den Unterricht,
  • Besuch eines Redakteurs in der Klasse,
  • im anschließenden Projektabschnitt können Schülerinnen und Schüler mit Unterstützung der Redaktion eigene Artikel verfassen und in der Zeitung veröffentlichen. 

Armin Schwarz, Hessischer Minister für Kultus, Bildung und Chancen, ist Schirmherr des Projekts.