„Freundschaft bedeutet Zusammenhalt, jemandem vertrauen und sich gegenseitig unterstützen“, schreibt Nele aus Gladenbach in ihrem Brief. „Echte Freundschaft bedeutet für mich auch, dass wir einander so akzeptieren, wie wir sind“, meint Firdevs aus Hanau. „In jeder Freundschaft darf man sich streiten, aber nicht, um daran zu zerbrechen, sondern um daran zu wachsen“, stellt Annika aus Grebenstein fest. Diese Zeilen stehen exemplarisch für das breite Gedanken-Spektrum der Schülerinnen und Schüler, die am sechsten Hessischen Schülerschreibwettbewerb teilnahmen.
Dieses Mal wollte die Stiftung Handschrift von Kindern und Jugendlichen der sechsten und siebten Klassen aller Schulformen wissen, was sie unter Freundschaft verstehen, was ihnen dabei wichtig ist, wo sie Grenzen setzen und mit wem sie gerne befreundet wären. Das emotionale Thema bot viel Raum für Persönliches. So individuell wie die eigene Handschrift sind auch die Inhalte der Texte: Sie reichen von besonderen Brieffreundschaften über die Verbundenheit zwischen Mensch und Tier bis zum Verarbeiten negativer Erfahrungen mit Freundinnen oder Freunden. Viele Schülerinnen und Schüler nutzten die Gelegenheit und schrieben ihren Klassenkameradinnen und -kameraden, wie wichtig ihnen die Freundschaft untereinander ist. Der Wettbewerb steht ebenfalls für Inklusion: Eine Förderklasse schrieb ihren Brief gemeinschaftlich. Auch koreanische und chinesische Briefe, deren Autorinnen und Autoren erst kurze Zeit in Deutschland leben, gingen ein.
Wettbewerb setzt Impulse
Fast 9.500 handschriftlich verfasste Briefe erreichten die Stiftung. Eine Fachjury wählte anhand der Kriterien Gestaltung, Inhalt, Kreativität und Rechtschreibung 100 Beiträge aus. Diese sind nun in einem hochwertigen Buch gesammelt erschienen. Die jungen Autorinnen und Autoren wurden am 19. April – dem von der Stiftung ausgerufenen hessischen „Tag der Handschrift“ – im Museum Wiesbaden mit einer Urkunde sowie einem Exemplar des Buches geehrt. Zahlreiche stolze Eltern, Freunde und Verwandte nahmen ebenfalls am Festakt teil.
Museumsdirektor Dr. Andreas Henning hieß die Gäste willkommen. Der Hessische Kultusminister Armin Schwarz hob in seiner Ansprache die Bedeutung des Schreibens mit der Hand hervor: „Unsere Handschrift ist ein einzigartiges Markenzeichen mit universellem Charakter. Als eine unserer ältesten Kulturtechniken bildet sie sich individuell heraus und setzt einen Lernprozess in Gang, bei dem unser Gehirn den Textinhalt intensiv durchdringt.“ Christian Boehringer, Vorsitzender des Stiftungsrates, machte deutlich, warum die Initiativen der Stiftung so wichtig sind: „Etwa ein Drittel der Mädchen und die Hälfte der Jungen erreichen am Ende der vierten Klasse das Bildungsziel der flüssigen Handschrift nicht. Sie werden es daher in der weiterführenden Schule schwerer haben. Denn wer Lerninhalte mit der Hand mitschreiben kann, versteht und behält diese besser. Deshalb arbeitet die Stiftung Handschrift mit dem Bildungsministerium daran, Lehrkräfte dabei zu unterstützen, die Handschrift der Kinder und Jugendlichen zu verbessern.“
Schreiben fördert strukturiertes Denken
Premiere: Erstmalig waren in diesem Jahr auch Kinder live als Reporter „on stage“ am Programm beteiligt. Sie stellten den Rednern nach deren Vorträgen gezielte Fragen. Rose-Lore Scholz, Stadträtin a. D. und ehemalige Schuldezernentin der Stadt Wiesbaden, führte als Moderatorin durch die Preisverleihung und interviewte den Geschäftsführer der Stiftung Handschrift Raoul Kroehl. Er erläuterte die Intention der Stiftung, mit dem Wettbewerb eine positive Schreibkultur in den Schulen zu etablieren. Außerdem gelte es, Kindern und Jugendlichen ein Gefühl für die Bedeutung einer leserlichen Handschrift zu vermitteln. Schließlich trainiere der hochkomplexe Vorgang des Schreibens, an dem 27 Knochen, 36 Gelenke und 39 Muskeln beteiligt sind, kognitive Fähigkeiten im Gehirn, wie zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen. Strukturiertes Denken, erlernt durch das Schreiben mit der Hand, helfe auch bei einer neuen Herausforderung im Schulalltag – der künstlichen Intelligenz. Er ist sich sicher: „Nur, wer Fragen richtig durchdenken kann, erhält von der entsprechenden Software sinnvolle Antworten.“
Besonders beeindruckt zeigte sich Kroehl davon, wie reflektiert die Schülerinnen und Schüler ihre Gedanken zum diesjährigen Thema zu Papier brachten: „Vielleicht hat Freundschaft vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Corona-Situation und der damit verbundenen Isolation aus Sicht der Kinder sogar noch eine Aufwertung erfahren. Insgesamt wird erneut deutlich, dass das Schreiben mit der Hand eine kreative Gedankenwelt entfacht und Einsichten aufdeckt, die sich in dieser Tiefe nicht immer in der Alltagskommunikation zeigen.“
Festakt mit vielen Highlights
Im Verlauf des Festakts vermittelten Videos ausgewählter Schulen einen Eindruck, wie Lehrkräfte die Materialen des Schreibwettbewerbs im Unterricht einsetzten. Alle berichteten von der nachhaltigen Wirkung des mittlerweile etablierten Projekts. Ein zusätzlicher positiver Effekt: Die jährlich neuen Themen fördern Diskussionen und den Austausch unter den Schülerinnen und Schülern im Klassenraum. Und die kamen ebenfalls zu Wort: In Video-Interviews erzählten die Autorinnen und Autoren von ihren Schreiberfahrungen und ihren Überlegungen, wie sie das Thema Freundschaft auf maximal zwei Seiten darstellen.
Ein weiteres Highlight der Veranstaltung: Drei der jungen Schreibtalente lasen ihre Briefe dem Publikum vor. Frische musikalische Akzente setzten die Sängerin Alexandra Bonn aus Bad Nauheim, Finalistin bei „The Voice Kids 2023“, sowie die Gruppe „Männer-WG“ der Diltheyschule Wiesbaden.
Weitere Informationen, Beispielbriefe, Archivbilder und Fotos und Aufzeichnungen der Feierstunde sind über die
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