Die duale Ausbildung in Hessen und Deutschland ist ein auf der ganzen Welt anerkanntes Erfolgsmodell, denn sie versorgt Unternehmen mit qualifiziertem Nachwuchs und verhindert Jugendarbeitslosigkeit. Nichtsdestotrotz ist die Zahl junger Menschen, die eine duale Ausbildung aufnimmt, seit Längerem rückläufig. Gleichzeitig nimmt die Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Ausbildungsberufe immer weiter zu. So gibt es 326 anerkannte Ausbildungsberufe, die in knapp 600 Fachrichtungen und Schwerpunkte untergliedert sind. „Um auf den Trend rückläufiger Auszubildendenzahlen zu reagieren und weil wir das Erfolgsmodell der dualen Ausbildung fit für die Zukunft machen wollen, ist jetzt die Zeit zum Handeln gekommen. Wir haben uns daher zu einer sukzessiven Neuausrichtung der Berufsschulstandorte in Hessen entschlossen“, erklärte Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz heute in Wiesbaden bei der Vorstellung des neuen Standortkonzepts „Die zukunftsfähige Berufsschule“, das ab dem Jahr 2026 gelten soll. „Mit der Umstrukturierung wollen wir trotz sinkender Schülerzahlen den Fortbestand aller Ausbildungsberufe in Hessen sichern und auch weiterhin eine möglichst betriebsnahe Beschulung ermöglichen“, versicherte der Minister.
„Unser Ziel ist, die Qualität der dualen Ausbildung als hochwertigen Start ins Berufsleben weiter zu stärken und damit den Fachkräften von Morgen attraktive Ausbildungschancen anbieten zu können“, sagte Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Es gelte dabei das Prinzip: kein Schulwechsel in der laufenden Ausbildung. Damit werde Planungssicherheit für Schulen, Schulträger sowie Ausbildungsbetriebe und natürlich die Auszubildenden selbst gewährleistet. „Unser neues Konzept garantiert eine möglichst betriebsnahe Beschulung, erhält alle Berufsschulstandorte in Hessen und trägt durch die damit verbundene Erhöhung der Qualität der Ausbildung langfristig zur Sicherung unseres Wirtschaftsstandortes bei.“
Senkung der Mindestklassengröße und Festlegung landesweiter Zuständigkeiten
Die Umsetzung des Projekts „zukunftsfähige Berufsschule“ sieht wie folgt aus: Sollte aufgrund zurückgehender Schülerzahlen die Klassengröße so klein werden, dass ein qualitativ hochwertiger Unterricht nicht an allen Schulen gleichzeitig aufrechterhalten werden kann, erfolgt eine Bündelung der Auszubildenden in regional gebündelten Fachklassen, in Landes- oder Bundesfachklassen. Dabei sollen die Schulen in den Regionen jeweils thematische Schwerpunkte entwickeln, um sowohl die Berufsschulstandorte zu sichern als auch den ländlichen Raum zu stärken.
Um dieses Ziel zu erreichen, erfolgt im ersten Schritt eine deutliche Absenkung der Mindestklassengröße von bisher 15 Schülerinnen und Schülern auf zwölf im ersten, neun im zweiten, acht im dritten und fünf im vierten Ausbildungsjahr. Zudem werden die nach den Rahmenlehrplänen zulässigen Möglichkeiten einer gemeinsamen Beschulung ausgeschöpft. Die Schulen profitieren bereits ab dem kommenden Haushaltsjahr von der neuen Zuweisung. Erst und nur wenn die Mindestklassengrößen vor Ort nicht mehr erreicht werden können, erfolgt an den regional und landesweit zuständigen Berufsschulen eine Konzentration. Die Blockbeschulung wird ausgeweitet.
Um dies zu ermöglichen, wird zukünftig für jeden Ausbildungsberuf ein Standort ausgewählt, der die Beschulung konzentriert übernimmt und auch dann eine qualitativ hochwertige Beschulung sicherstellen kann, wenn nur noch wenige Ausbildungsverträge in einem Beruf geschlossen werden.
Neues Modell hat keine Auswirkungen auf laufende Ausbildungsverhältnisse
Die Festlegung der Standorte erfolgt auf Grundlage eines gemeinschaftlichen Dialogprozesses mit der Wirtschaft, den Schulträgern und den Berufsschulen. Ausgangspunkt sind dabei die Standorte der Ausbildungsbetriebe und die Nähe der Berufsschule zu den jeweiligen Betrieben. „Langfristiges Ziel ist ein über die Fläche verteiltes System regional und landesweit zuständiger Berufsschulen“ erklärte der Kultusminister. „Damit schaffen wir langfristig Planungssicherheit für Ausbildungsbetriebe, Auszubildende und Schulen.“
Das Auslaufen der Beschulung eines Ausbildungsberufs an einem Standort erfolgt erst dann, wenn für die jeweilige Berufsschule mindestens zweimal hintereinander festgestellt worden ist, dass die Schülerzahl in der Grund- oder Fachstufe unter der Mindestklassengröße liegt. Im darauffolgenden Schuljahr kann diese Schule dann keine neuen Auszubildenden für dieses Berufsbild mehr aufnehmen.
Ein Übergangszeitraum stellt zudem sicher, dass ein eventueller Neuaufnahmestopp von Schülerinnen und Schüler erst zum Schuljahr 2025/26 greift. Steigt nach einem Aufnahmestopp die Zahl der Auszubildenden an einem Standort nachhaltig wieder an, weil sich beispielsweise neue Unternehmen ansiedeln, kann der Schulträger einen neuen Antrag auf Einrichtung des Berufs beziehungsweise der Fachstufe stellen. „Das neue Modell hat damit keine Auswirkungen auf laufende Ausbildungsverhältnisse“, garantierte Lorz. Zudem werde, wie bei anderen schulischen Großvorhaben auch, ein Praxisbeirat aus Schulpraktikerinnen und Schulpraktikern eingesetzt, der seine Expertise aus dem Schulalltag in den Prozess einbringe. Gleichzeitig kündigte der Kultusminister an, dass zur Lehrkräftegewinnung die Zugänge zum beruflichen Lehramt erweitert und die Attraktivität für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger erhöht würden.
Breite Unterstützung von Wirtschaftsverbänden und Schulträgern
Stefan Füll, Präsident des Hessischen Handwerkstages, erklärte: „Das hessische Handwerk begrüßt sehr, dass in der Frage der Berufsschulstandorte eine Lösung im Interesse der Ausbildungsbetriebe und der Auszubildenden gefunden werden soll. Um die handwerkliche Ausbildung weiter stabil zu halten, brauchen wir, vor allem im ländlichen Raum, die klare Aussage, dass kein Schulstandort geschlossen wird und auch kleine Schulklassen möglich sein werden. Der Hessische Handwerkstag wird den weiteren Prozess konstruktiv begleiten.“
Der Präsident des Hessischen Industrie- und Handelskammertages, Eberhard Flammer, ergänzte: „Gut, dass die Landesregierung mit dem Standortkonzept die berufliche Bildung in Hessen aktiv stärken möchte. Die hessischen IHKs begrüßen die damit verbundenen Investitionen. Sie kommen dem Wirtschaftsstandort und dem Fachkräftenachwuchs in Hessen zugute. Wir erhoffen uns, dass damit die Qualität des Berufsschulunterrichts gesichert und die Pensionierungswelle bei Lehrkräften abgefedert wird.“
„Wir begrüßen den Vorschlag des Landes, weil damit weiterhin eine betriebs- beziehungsweise wohnortnahe Beschulung unserer Auszubildenden gewährleistet ist“, betonte Dr. Elke Vietor, Präsidiumsmitglied des Verbandes Freier Berufe in Hessen. „Unsere Praxen und Kanzleien haben häufig nur eine geringe Anzahl an Auszubildenden, wodurch es – speziell in ländlichen Bereichen – manchmal schwierig war, in den dezentralen Berufsschulen die geforderten Klassenstärken zu erreichen. Das vorliegende Konzept gewährleistet nachhaltig die Ausbildungsbereitschaft unserer Praxen und Kanzleien sowie die hoheQualität der dualen Ausbildung.“
Der Erste Vizepräsident des Hessischen Städtetages, Fuldas Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld, sagte: „Die hessischen Städte werden einen aktiven Beitrag dafür leisten, die duale Ausbildung bedarfsangepasst weiterhin auf hohem Niveau zu gewährleisten.“
„Leistungsfähige Berufsschulen stellen nicht nur einen wichtigen Beitrag für die wirtschaftliche Entwicklung Hessens dar, sondern sie sind auch ein wichtiger Aspekt der kommunalen Bildungsinfrastruktur. Das gilt gerade für den ländlichen Raum“, betonte der Präsident des Hessischen Landkreistages, Bernd Woide, abschließend.